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Vietnamesische Musik in Lichtenberg: Der Traum von einer Zither

Als letzter Beitrag im Böll-Dossier Aus Vietnam in die DDR. 40 Jahre Vertragsarbeiter-Abkommen erscheint nun ein Artikel zum Hanoi-Ensemble der Musikschule in Berlin-Lichtenberg, erschienen in der taz am 5.1.2020. Das Dossier möchte anlässlich des 40. Jahrestages des Vetragsarbeiterabkommens zwischen der DDR und Vietnam im April 2020 mit verschiedenen Beiträgen auf die Leistungen und Lebenswelten ehemaliger Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam in Deutschland aufmerksam machen. Das Dossier wurde unter Schirmherrschaft der Berliner Beauftragen für Integration und Migration und mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung sowie der Heinrich-Böll-Stiftung realisiert.

Am Ende des Artikels finden Sie eine Hörprobe des Hanoi-Ensemble aus Berlin-Lichtenberg.

Vietnamesische Musik in Lichtenberg: Der Traum von einer Zither

Fast jeden Samstag fährt das Ehepaar aus Hannover nach Berlin-Lichtenberg. Die gebürtigen Viet-tnamesen sind Ende 50 und nehmen hier Unterricht an der Musikschule. Sie erlernen das Spiel der Dan Bau, einer einsaitigen Zither. Das traditionelle vietnamesische Musikinstrument haben die beiden geerbt, nun wollen sie es auch spielen. Musiklehrer Hung Manh Le, etwa im gleichen Alter wie seine Schüler, hilft das Instrument mit Klebeband zu beschriften, damit sie wissen, an welcher Stelle der einzigen Saite welche Tonhöhe zum Erklingen gebracht werden kann.

Seit zwölf Jahren unterrichten Hung Manh Le und seine Frau Hoa Phuong Tran an der Schostakowitsch-Musikschule Lichtenberg das Spiel an vietnamesischen Instrumenten, seit sieben Jahren auch an der Musikschule Fanny Hensel in Mitte. Die Angebote sind bundesweit einmalig. Dass Schüler einen weiten Weg zu ihnen auf sich nehmen, ist gar nicht so selten.

Gut die Hälfte seiner Schüler sei bereits erwachsen, erzählt der Musiklehrer, der eigentlich gelernter Journalist ist, aber schon immer auch Musik macht. Gemeinsam mit seiner Frau, die das Konservatorium in Hanoi absolviert hat, und weiteren Berufsmusikern spielt er beispielsweise im Lotus Ensemble traditionelle fernöstliche Musik. Die Musik war für ihn der Weg der Integration in die deutsche Gesellschaft, erzählt der Musiklehrer, der Anfang der 90er Jahre nach Deutschland gekommen ist. Die Musik führte ihn heraus aus dem Wohnheim.

Es war aber ein weiter Weg, bis die beiden eine Musikschule fanden, die sich auf den Unterricht an ganz anderen als den hier üblichen Instrumenten wie Klavier und Geige einließ. Le hat schon in einer Bibliothek Bücher sortiert, er moderierte beim Radio Multikulti und auf vietnamesischen Hochzeiten und arbeitete als Eventmanager. Aber das Bedürfnis nach dem Erlernen vietnamesischer Zupfinstrumente ist in Berlin da – und es gibt wenige Menschen, die das unterrichten können. Vor allem das Spiel der Dan Tranh – der vietnamesischen Wölbbrettzither – ist gefragt.

Als Kind erträumt

Kim Dung, 65 Jahre alt, hat schon als Kind davon geträumt, ein Instrument zu spielen. „Aber damals war Krieg in Vietnam. Meine Familie war arm. Es blieb ein Traum", sagt die frühere DDR-Vertragsarbeiterin. In der DDR gab es keine Möglichkeiten für sie, Musikunterricht zu nehmen, und auch danach hatte sie im Leben erst einmal andere Prioritäten: Sie musste eigenes Geld verdienen, um in Deutschland bleiben zu dürfen, und sie musste ihre Kinder großziehen. Als sie vor fünf Jahren ihre Enkelkinder zum Unterricht an der Musikschule begleitete, wollte die Rentnerin sich aber endlich selbst ihren Kindheitstraum erfüllen. Und weil das Spielen eines Musikinstruments so klingen sollte, wie sie es sich als Kind erträumt hatte, erlernte sie die Dan Tranh.

Gerade für erwachsene Schüler, die wie das Ehepaar aus Hannover und die ehemalige DDR-Vertragsarbeiterin keine Noten lesen können, sei der Unterricht eine Herausforderung, sagt Musiklehrer Le. „Wenn hingegen Kinder ein Instrument erlernen wollen, empfehle ich zuerst die Flöte. Dort kann man die Noten schneller lernen als an den vietnamesischen Zupfinstrumenten."
So hat das Musikschullehrerpaar eine Bambusflötengruppe von Kindern aufgebaut, die mitunter im Eastgate in Marzahn zu hören ist. Auch diese jungen Schüler haben oft, aber nicht immer vietnamesische Wurzeln.

Und sie sind durchaus unterschiedlich motiviert. Zwei Brüdern, die an diesem Samstag im Unterricht sitzen, sieht man an, dass sie nicht ganz freiwillig in die Musikschule kommen. Der Musiklehrer muss sie immer wieder zur Konzentration ermahnen. Neben dem Unterricht ist er auch mit schlichten Betreuungstätigkeiten gefordert: Einige Eltern haben die große Schwester zum Musikunterricht gebracht, während die kleine Schwester auf dem Flur sitzt und eigentlich beaufsichtigt werden sollte. Die Eltern sind aber arbeiten gegangen.

Nicht immer cool

Für in Berlin geborene Kinder vietnamesischer Einwanderer gilt das Spielen von Flöte und fernöstlichen Zupfinstrumenten nicht immer als cool, es fehlt das Verständnis unter gleichaltrigen Klassenkameraden. Doch ein zwölfjähriger Junge sieht das anders. „Als ich im Musikunterricht einen Vortrag über mein Instrument gehalten habe, war ich der Einzige, der darüber etwas wusste", sagt er. Und auch: „Würde ich Klavier lernen, hätte ich kaum Auftrittsmöglichkeiten."

Auftritte mit der Dan Tranh seien hingegen gefragt. Neben Vietnamesen erlernt gerade auch eine Handvoll Deutsche dieses Instrument, darunter ein Berufsmusiker und zwei Abiturientinnen, die sich auf ein Jahr in Vietnam im Rahmen des Freiwilligendienstes Weltwärts vorbereiten.

Nicht ganz einfach war es, für die Musikschüler und Ensemblemusiker die exotischen Instrumente nach Deutschland zu importieren. Ohne Hilfe der Musikschule, die sich um die Formalitäten kümmerte, wäre es gar nicht gegangen, sagt Le. Aber es müssten auch Instrumente ausgewählt werden, die mit den klimatischen Bedingungen in Deutschland zurechtkommen. Wenn jemand ein geschenktes oder geerbtes Instrument selbst aus Vietnam mitbringe, könne das auch schiefgehen.

Und weil die Auftritte so begehrt sind, hat das Musiklehrerehepaar ein Ensemble seiner Musikschüler zusammengestellt, das sich Hanoi Ensemble nennt. Alle sind sie erwachsen, meist schon in der zweiten Lebenshälfte, die meisten sind Vietnamesen, sie spielen die Dan Tranh oder Schlaginstrumente.

Lehrer Hung Manh Le ist auch der Manager des Ensembles. „Viele meiner musizierenden Landsleute treten nur auf Feiern von Vietnamesen auf", sagt er. „Unser Ansatz ist ein anderer: Wir sehen uns als Teil der deutschen Gesellschaft und wollen zeigen, dass wir auch zu Berlin gehören."

So tritt das Hanoi Ensemble beispielsweise regelmäßig auf Veranstaltungen der Bürgerstiftung Lichtenberg auf, und es hatte die Ehre, 2019 den bundesweiten Musikschultag in Berlin eröffnen zu dürfen. Wenn die fast 20 Laienmusiker in traditioneller vietnamesischer Kleidung auf die Bühne kommen, ist das schon ein Blickfang, und es gibt den ersten Applaus. Den genießen die Frauen und Männer, die sich ein halbes Leben lang in Imbissen oder Blumenläden abgerackert haben. Und es fühlt sich ein bisschen so an wie ein Kindheitstraum, der doch noch in Erfüllung gegangen ist.
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von Marina Mai, taz, 5.1.2020


Hörprobe des Hanoi-Ensemble mit Video
https://peertube.giz.berlin/videos/watch/07cbdd9b-a678-4daa-b45c-e6096d084697

Video: Hung Manh Le, Lizenz: Alle Rechte vorbehalten



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